Der „Corona-Effekt“ auf die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2021
Die Corona-Pandemie könnte dazu führen, dass weniger Bürger*innen ihre Stimme bei der Bundestagswahl 2021 abgeben und der Nichtwähler-Anteil steigt. Ein Wahlergebnis auf Basis einer niedrigeren Wahlbeteiligung könnte die Spaltung in der Gesellschaft weiter vertiefen. Das schreiben Dr. Robert Vehrkamp und Lars Bischoff von der Bertelsmann Stiftung in ihrer Publikation „Einwurf“ (Ausgabe 2/2021) und argumentieren anhand der Gesellschaftstypologie der Sinus-Milieus.
Rückblick: Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2017 zeigt Spaltung zwischen oberen und unteren Schichten
76,2 Prozent der Wahlberechtigten haben bei der Bundestagswahl 2017 ihre Stimme abgegeben. Damit lag die Wahlbeteiligung 2017 etwas höher als bei den Wahlen 2013 (71,5 Prozent) und 2009 (70,8 Prozent), aber immer noch deutlich unter den (Hoch-)Werten aus früheren Jahrzehnten.
Die Wahlbeteiligung war jedoch sehr ungleich verteilt und offenbart eine sozio-ökonomische Spaltung, wie die Ergebnisanalyse im Gesellschaftsmodell der Sinus-Milieus zeigt. Demnach lag die Wahlbeteiligung in sozial gehobenen Milieus viel höher als in sozial benachteiligten Milieus. Die normative Grundorientierung eines Milieus wirkte sich deutlich weniger auf die Wahlbeteiligung dieser Gruppe aus.
Das bedeutet: Die soziale Unterschicht ist im Wahlergebnis deutlich unterrepräsentiert. Die Autoren schlussfolgern daraus: „Diese gespaltene Wahlbeteiligung erzeugt soziale Repräsentationslücken und beschädigt die Demokratie.“
Rückblick: Unterrepräsentierte Milieus stimmten besonders häufig für die AfD
Das sozial am stärksten benachteiligte Milieu der Prekären gilt als typisches Nichtwählermilieu. So lag die Wahlbeteiligung dieses Milieus bei der Wahl 2017 unter dem Durchschnitt, aber nicht mehr so deutlich wie bei der Wahl 2013. Die Autoren erläutert die Hintergründe: „Grund dafür war vor allem das Wahlergebnis der AfD, deren rechtspopulistische Mobilisierungsstrategien in den Nichtwählermilieus besonders erfolgreich waren. Was die demokratischen Parteien nicht geschafft haben, ist der AfD bei der Bundestagswahl 2017 gelungen: Durch (Re-)Mobilisierungserfolge in den sozial prekären Nichtwählermilieus die soziale Spaltung der Wahlbeteiligung zu verringern.“
Zwischenfazit: Bundestagswahl 2017 verkleinerte soziale Spaltung – wegen Mobilisierungserfolgen der AfD
Die Bundestagswahl 2017 war somit gekennzeichnet von einer gestiegenen Wahlbeteiligung und einem leichten Rückgang der sozialen Spaltung, was vor allem an den Mobilisierungserfolgen der AfD in Nichtwählermilieus lag.
Ausblick: „Corona-Effekt“ bei der Bundestagswahl 2021 könnte soziale Spaltung wieder verschärfen
Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt fanden bereits unter Eindruck der COVID 19-Pandemie statt – und bei allen drei Wahlen ging die Wahlbeteiligung zurück. Für die Autoren ist dies ein erster Hinweis für eine pandemiebedingte Trendumkehr bei der Bundestagswahl 2021, denn sowohl die Bundestagswahl 2017 als auch die Landtagswahlen in deren Umfeld waren von steigenden Wahlbeteiligungsraten geprägt.
Ein möglicher „Corona-Effekt“ könnte die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2021 verringern und die daraus resultierende soziale Spaltung vertiefen, also die ungleiche Repräsentation von sozial besser gestellten und sozial benachteiligten Milieus.
Der „Corona“-Effekt fußt laut Autoren auf zwei Vorwahltendenzen:
- Mögliche Kontakt- und Hygienebeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie erschweren die Abgabe der Stimme im Wahllokal und erhöhen den Anteil der Briefwähler*innen. Oberschichtige Milieus sind disziplinierter in ihrer Stimmabgabe im Wahllokal oder auch per Briefwahl. Es dürfte also eine sozial asymmetrische Mobilisierung stattfinden.
- Aktuelle Wählerbefragungen zeigen, dass die Befragten vergleichsweise wahlmüde und wenig mobilisiert sind – trotz Wahlkampf. Dies trifft insbesondere auf das Milieu der Prekären zu; der Mobilisierungseffekt der AfD von 2017 scheint hier verpufft. Dieses Milieu dürfte jedoch nicht zu etablierten Parteien, sondern in die Wahlenthaltung zurückkehren.
Fazit: Die Gefahr für die Demokratie bleibt unterschätzt
Hohe Nichtwählerquoten sind ein Indikator für eine soziale Spaltung, da sozial besser gestellte Milieus häufiger an Wahlen teilnehmen als sozial benachteiligte Milieus und somit im Wahlergebnis besser repräsentiert sind.
Nichtwählergruppen haben ein deutlich erkennbares soziales Profil, hier sind sozial benachteiligte Milieus deutlich überrepräsentiert. Typische Nichtwählergruppen sind – und fühlen sich – nicht mehr repräsentiert und haben sich in ihrer Enttäuschung in der Vergangenheit vor allem von populistischen Parteien mobilisieren lassen. Auch wenn diese populistische Mobilisierung bei der Bundestagswahl 2021 nicht allzu stark zu erfolgen scheint, bleibt eine künftige (Re-)Mobilisierung aber möglich.
Die Autoren warnen: „Die damit entstandene offene Flanke haben Populisten genutzt und für ihre Zwecke instrumentalisiert. Die sozialen Repräsentationslücken haben die liberalen Demokratien weniger inklusiv und damit angreifbar gemacht. Das Geschäft des Populismus ist dabei nicht die Lösung der zugrundeliegenden Probleme, sondern die Mobilisierung auf ihrem Rücken, zu anderen und häufig weniger demokratischen bis autoritären Zwecken.“ Die etablierten Parteien müssten nun versuchen, die Nichtwählergruppen zurückzugewinnen, und sie nicht den Populisten zu überlassen.