Interview mit Lebensmittel Zeitung: „Das Wichtigste ist und bleibt eine gute Zielgruppenkenntnis“
Dieser Text ist ein Interview mit Lebensmittel Zeitung, das anlässlich der Aktualisierung der Sinus-Milieus in der Ausgabe 50/2021 (17. Dezember 2021) erschienen ist. Manfred Tautscher ist Geschäftsführer des SINUS-Instituts.
Lebensmittel Zeitung: Herr Tautscher, was bedeuten die Botschaften aus der „Sinus-Milieu 2021“-Studie konkret für den Handel und Hersteller von Marken?
Manfred Tautscher: Die aktuellen Sinus-Milieus zeigen: Deutschland befindet sich im Umbruch. Die größte Dynamik geht aktuell von der Mitte der Gesellschaft aus, dort driften die Lebens- und Wertewelten auseinander und die Mitte spaltet sich. Und: Nachhaltigkeit, Resilienz und Diversität etablieren sich als neue Leitwerte in der Gesellschaft. Diese grundlegenden Veränderungen haben direkte Auswirkungen auf das Konsum- oder Ernährungsverhalten. Mit dem Update haben wir die Menschen in Deutschland in zehn Milieus, also „Gruppen Gleichgesinnter“, neu zusammengefasst. Wir liefern eine aktualisierte Beschreibung und ein Tiefenverständnis der deutschen Gesellschaft in ihrer Wertewelt und Lebensstil, aber auch in ihrem Konsumverhalten, ihrer Grundeinstellung zum Konsum oder Touchpoints. Damit haben der Handel und Markenhersteller einen realholistischen Blick auf ihre aktuellen und potenziellen Konsumenten.
Lebensmittel Zeitung: Die beschriebenen Milieus sind gemessen an ihrem prozentualen Anteil an der Gesamtbevölkerung sehr ausgeglichen. Auf welche Gruppe sollten sich Händler und Hersteller fokussieren?
Manfred Tautscher: Das hängt von vielen Faktoren ab, nicht zuletzt von Konsum- und Markeneinstellungen der einzelnen Milieus oder der strategischen Ausrichtung von Händlern und Herstellern. Die Sinus-Milieus bilden eine Landkarte der Gesellschaft ab, in denen Produkte, Marken und Medien strategisch positioniert werden können, und liefern den „roten Faden“ für Produktentwicklung, Strategie, Positionierung, Kommunikation, Mediaplanung und CRM. Die Positionierung und Auswahl der Zielgruppen kann also für jeden Händler oder jeden Hersteller anders aussehen. Dennoch empfehlen wir unsere Zukunftsmilieus besonders im Auge zu haben, denn unsere Prognosen zeigen, dass die Milieus der Expeditiven und Neo-Ökologischen besonders stark wachsen werden. Zudem treiben sie den gesellschaftlichen Wandel voran und setzen Konsum- und Ernährungstrends, die etwas später auch in der Breite der Gesellschaft ankommen.
Lebensmittel Zeitung: Was bedeutet das für Entscheidungen bei Werbemaßnahmen für die Zielgruppenansprache?
Manfred Tautscher: Das Wichtigste ist und bleibt eine gute Zielgruppenkenntnis – und zwar jenseits von Faktoren wie Alter, Geschlecht und Einkommen. Will meine Zielgruppe geduzt werden? Wie bunt und aktivierend oder langsam und beruhigend muss die Werbung sein? Auf welchen Webseiten soll ich meine Online-Ads platzieren – oder doch lieber mit Plakaten und Hauswurfsendungen werben? Nur weil eine Zielgruppe ähnlich alt ist oder vergleichbar verdient, bedeutet das nicht, dass diese Konsumentengruppe auch gleich tickt – egal ob es um Konsum, Marketing oder Kommunikation geht. Viel entscheidender sind Lebensstile und Werte. Diese Unterschiede legen die Sinus-Milieus offen und ermöglichen ein Zielgruppen- Verständnis von innen heraus.