Studie: Wie geht es Deutschland inmitten von Krieg und Corona?
SINUS-Studie zur aktuellen Befindlichkeit der Deutschen
Einerseits ist nach zwei Jahren Corona-Pandemie langsam wieder ein Durchatmen möglich. Andererseits drängen neue Krisen und Probleme auf der Sorgenliste weit nach oben. Das persönliche Sorgen-Ranking hängt dabei stark von der Grundorientierung der Menschen und ihrer sozialen Position ab. Das zeigt eine Analyse nach dem Gesellschaftsmodell der Sinus-Milieus. Optimismus, Sorgen-Tableau und Krisenbewältigung fallen milieuspezifisch ganz unterschiedlich aus. Diesen und anderen Fragen zur aktuellen Befindlichkeit der Deutschen ist das SINUS-Institut im Rahmen einer repräsentativen Online-Umfrage nachgegangen.
Die gute Nachricht ist: Die Gefühlslage in Deutschland ist trotz aller Probleme wieder etwas besser, und man ist zufriedener als vor einem Jahr. Allerdings sind es primär die sozial besser gestellten Befragten, die über positive Gefühle berichten. Die Betrachtung nach dem Gesellschaftsmodell der Sinus-Milieus macht das deutlich. So äußern gesellschaftlich benachteiligte Milieus wie die um Teilhabe bemühten Prekären und die von Abstiegsängsten geprägten Nostalgisch-Bürgerlichen die wenigsten positiven Emotionen.
Krisen-Resilienz ist milieuspezifisch
Die Schere zwischen oben und unten spiegelt sich auch im Zukunftsoptimismus wider. Prekäre und Nostalgisch-Bürgerliche blicken neben den sicherheitsliebenden Traditionellen am pessimistischsten in die Zukunft. „Durch die aktuelle Krisensituation driften die Gesellschaftsschichten verstärkt auseinander. Gehobene Milieus wie etwa die leistungsorientierten Performer oder die kosmopolitischen Expeditiven können mit den aktuellen Krisen besser umgehen, sie sind resilienter. Dazu kommen meist objektiv bessere ökonomische Voraussetzungen. Beides lässt sie optimistischer denken und empfinden“, so Manfred Tautscher, Geschäftsführer des SINUS-Instituts. „Mit dieser optimistischen Haltung geht in diesen Milieus auch ein überdurchschnittlich hohes Vertrauen in Medien und Berichterstattung einher.“
Dieser gesellschaftliche Graben zeigt sich auch in der Frage, worum sich aktuell die Sorgen der Menschen drehen.
Große existenzielle Sorgen – vor allem in den weniger privilegierten Milieus
Die größten Sorgen machen sich die Deutschen derzeit über die Preisentwicklung und die Versorgungssicherheit. Am meisten Angst machen die gestiegenen Energiekosten. 87% sind darüber sehr oder eher besorgt. 85% sorgen sich um die steigenden Lebensmittelpreise, 79% über die Versorgungssicherheit mit Energie, 77% über den weltweiten Rohstoffmangel und 75% über die Entwicklung der Spritkosten. Der Russland-Ukraine-Konflikt, der all diese Bedrohungen letztlich auslöst, steht mit 85% auf Platz 2 der Sorgenliste.
Die Schwerpunkte der Sorgen und Ängste hängen dabei stark mit der sozialen Stellung und der Milieuzugehörigkeit zusammen. In den gehobenen Milieus sorgt man sich vor allem um Themen, die das ganze Land bzw. den Planeten betreffen. Hier stehen Wirtschaft, Politik und Klima ganz oben auf der Liste. Dagegen sind die unteren Milieus, aber auch die gesellschaftliche Mitte, primär von privaten existenziellen Sorgen geplagt.
Dazu zwei Beispiele: Was sich aktuell in der Ukraine abspielt, treibt der Bildungselite der Postmateriellen die Sorgenfalten auf die Stirn. Praktisch alle fühlen sich stark betroffen. Nahezu gleichauf liegt in diesem Milieu der Klimawandel in der Sorgenliste, und die allermeisten Postmateriellen beklagen die Zunahme des Rechtsextremismus. Hingegen ist man hinsichtlich des eigenen Arbeitsplatzes, der Lebensmittel-, Wohn- und Spritkosten vergleichsweise wenig bekümmert.
Völlig anders ist die Situation bei den Nostalgisch-Bürgerlichen. Sie sind mit Blick auf Energie- und Lebensmittelkosten das besorgteste Milieu. Auch der Gedanke an die persönliche finanzielle Lage, an bezahlbares Wohnen und die Versorgungssicherheit bei Strom und Gas bereitet ihnen Kummer. Der Klimawandel, der Rechtsextremismus und sonstige politische Konflikte schert sie dagegen eher wenig.
Und was ist eigentlich mit Corona?
Die Corona-Pandemie ist vor dem Hintergrund der neuen, kriegsbedingten Krisen auf der Sorgenliste weit nach unten gerutscht – was aber nicht heißt, dass das Problem verschwunden ist. 50% der Befragten sind immer noch sehr oder eher besorgt. Die Beweggründe variieren jedoch mit der Grundorientierung: Postmaterielle dürften bereits jetzt einen herausfordernden Herbst antizipieren . Und sie sind auch diejenigen, die die Bedrohung durch das Virus aktuell am meisten ernst nehmen (85%). In den Milieus der Prekären, Nostalgisch-Bürgerlichen und Konsum-Hedonisten dürfte der Sorgenhorizont dagegen sehr viel mehr von der Angst um die eigene finanzielle Zukunft geprägt sein.
Methodischer Hinweis
Die verwendeten Daten beruhen auf einer Online-Umfrage des SINUS-Instituts im Access-Panel der respondi AG, an der 1.464 Personen zwischen 29.04. und 06.05.2022 teilnahmen. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die deutschsprachige Wohnbevölkerung von 18 bis 74 Jahren.