Passen alle Zielgruppen unter ein D-A-CH?
Dieser Text ist ein Gastartikel von Sandra Cerny, Associate Director Research & Consulting am SINUS-Institut, und Roger Muffler, Gründer der rogermuffler gmbh und Repräsentant des SINUS-Instituts in der Schweiz, im Marketing-Fachmagazin ONEtoOne vom 04.03.2021.
"Der Deutsche unterscheidet sich vom Österreicher und vom Schweizer durch die gemeinsame Sprache." Dieses um die Eidgenossen erweiterte Zitat des österreichischen Kabarettisten Karl Farkas macht es deutlich: Um den Nerv der Zielgruppe zu treffen, ist über die Einbeziehung ihrer Lebenswelten auch die länderspezifische Ansprache entscheidend. Sonst fällt die Instanz "Aufmerksamkeit" schnell das Urteil "Und Tschüss."
Bei der Kunst, die Lebenswelt und die Sprachpräferenz zu erreichen, helfen ein paar Regeln:
Regel Nummer 1: Differenzieren
Zielgruppenspezifische Ansprache ist im Marketing ein alter Hut, wenngleich es immer wieder überraschen mag, wie treffsicher an deren Lebenswelt vorbei kommuniziert wird. Dabei ist gerade die Einbettung einer Botschaft in die falsche Grundorientierung der Aufmerksamkeitskiller Nummer 1. Angela Merkel und Nina Hagen weisen sehr viele demografische Gemeinsamkeiten auf. Lassen sie sich deswegen mit einer gemeinsamen Botschaft erreichen? Eben.
Regel Nummer 2: Zielgruppenbedürfnisse einbeziehen
Um den Nerv der Zielgruppe zu treffen, gilt es, sie dort abzuholen, wo sie steht. Wie das funktioniert, lässt sich anhand des Gesellschaftsmodells der Sinus-Milieus; leicht erklären. Die Menschen der einzelnen Sinus-Milieus; leben in unterschiedlichen Lebenswelten. Sie haben unterschiedliche Lebensweisen, Grundorientierungen und Werte bzw. auch unterschiedliche ästhetische Ansprüche. Jedes Milieu ist daher individuell und spezifisch zu adressieren. Zur optimalen Zielgruppenansprache sollten Marketingmaßnahmen geeignete Schlüsselreize sowie adäquate Kommunikationskanäle berücksichtigen.
Zwei Beispiele für strategische Zielgruppen
Sehen wir uns dazu zunächst das Milieu der Performer an. Die flexible, global orientierte Leistungselite legt Wert auf Erfolg und Effizienz. Daher sollte nicht nur der Inhalt kompakt für den effizienten Informationskonsum aufbereitet sein, sondern auch das Konzept "Erfolg" mitschwingen. Dabei darf die zeitgemäße und hochwertige Aufmachung nicht fehlen.
Anders die Adaptiv-Pragmatischen. Dies ist die moderne junge Mitte mit ausgeprägtem Nützlichkeitsdenken. Leistungs- und Anpassungsbereitschaft, das Streben nach Verankerung und der Wunsch nach Spaß und Unterhaltung zeichnen dieses Segment aus. Eine anschauliche Botschaft, die ihnen Sicherheit und Orientierung bietet, trifft ihren Nerv am besten.
Regel Nummer 3: Länderspezifisch modifizieren
Bleiben wir bei den Adaptiv-Pragmatischen. Diese begegnen uns im Sinus-Milieu®-Modell in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die deutschen Adaptiv-Pragmatischen haben dabei mit den Schweizer Adaptiv-Pragmatischen deutlich mehr gemeinsam als zum Beispiel mit den deutschen Hedonisten. Doch ihre geografischen Wurzeln können sie nicht leugnen, zumal sie eine hohe Heimatorientierung aufweisen. Dazu stellen wir Ihnen im Folgenden drei Vertreter der Adaptiv-Pragmatischen und deren kulinarische Vorlieben vor:
Heiko, Franz und Urs
Heiko lebt mit seiner Partnerin in einer modernen Wohnsiedlung in einem Berliner Vorort. Die beiden haben sich bereits auf der Schule kennengelernt. Heiko hat den Klempner-Betrieb seines Vaters übernommen. Den Einkauf erledigt meist seine Partnerin, bevorzugt im großen Supermarkt. Doch für den kleinen Einkauf zwischendurch springt er auch mal schnell zum Kiosk.
Franz aus Niederösterreich wohnt mit seiner Lebensgefährtin in einem Reihenhaus im "Speckgürtel". Auch sein Vater war Installateur, doch hat sich Franz entschlossen, nach der Lehre die Matura nachzuholen und beruflich umzusatteln. Den Wocheneinkauf erledigt er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin gerne im Diskontmarkt, um die Geldbörse zu schonen. Dabei findet er es leiwand, dass es den örtlichen Greißler immer noch gibt.
Urs lebt mit seiner Freundin in einer Altbauwohnung in Zürich Affoltern, am Rand der Stadt. Die beiden planen eine Familie zu gründen - wenn die Zeit dann reif ist. Urs hat sich nach seiner Lehre als Zeichner mit viel Fleiss hochgearbeitet und leitet jetzt ein kleines Team in einem Zürcher Architektur-Unternehmen. Als Migros-Kinder kaufen Urs und seine Freundin gerne im nahegelegenen Migros-Supermarkt, dort finden sie alles, was sie für ihren gemeinsamen Wocheneinkauf brauchen. Und für alles andere gibt's den Tankstellenshop.
Die Umsetzung
Nun kommt Sabine ins Spiel. Sabine ist Marketingleiterin bei einem deutschen Versandhändler, der den gesamten DACH-Raum beliefert. Mit ihrer nächsten Kampagne will Sabine das neue Lebensmittelangebot ihrer Firma pushen, das Angebot soll in der aktuellen Situation den wöchentlichen Gang zum Supermarkt ersetzen. Sabine ist sich bewusst, dass Deutsch für die Schweizer und die Österreicher schnell einmal zu deutsch ist, gerade beim Thema Essen. Denn was Heiko gefällt, kann bei Franz schnell im virtuellen Mistkübel landen. Er möchte in der Botschaft ein Stück Heimat wiederfinden. Deshalb lädt Sabine Heiko, Franz und Urs zu einem virtuellen Austausch ein und erfährt dabei so allerhand Kulinarisches von den dreien:
In ihrer Adaptiv-Pragmatischen Lebenswelt ist den dreien eines gemeinsam: Sie bevorzugen bodenständige Küche, die auch gerne einen mediterranen Akzent haben darf. Für kulinarische Experimente sind sie dagegen nicht zu haben. Die Mahlzeiten strukturieren ihren Tagesablauf, wobei das Abendessen als Rahmen für die Zusammenkunft ihrer Kleinfamilie die bedeutendste Rolle spielt.
Zum Frühstück gibt's bei Heiko Schrippen. Urs hat zum Morgenessen gern ein Weggli, manchmal nimmt er es auch mit zur Arbeit isst es dann erst zum Znüni. Franz wiederum isst erst bei der Zehnerjause, und zwar seine Semmel. Wenn's zum Mittagessen schnell gehen soll, fährt Urs gerne mit dem Velo in seine Stammbeiz und kauft sich einen Hörnlisalat über die Gasse. Auch Franz mag gerne Nudeln und schätzt die Möglichkeit des Gassenverkaufs. Anstatt Hörnli holt er sich Schinkenfleckerln in seinem Stammbeisl. Und bei Heiko gibt's ganz einfach Pasta zum Mitnehmen, die kann seine Lieblings-Kneipe besonders gut. Bei schönem Wetter fahren Franz und Heiko ebenfalls mit dem Fahrrad zum Essenholen, bei Regen ziehen alle drei das Auto vor. Dann parkiert Urs auch schon mal schnell auf dem Trottoir vor dem Restaurant, ist ja nur für kurz. Heiko ist das zu riskant, er parkt grundsätzlich nicht auf dem Bürgersteig und auch Franz meidet den Gehsteig, wann immer es geht.
An kalten Winterabenden grillen Heiko und Franz gerne Maronen im Kamin, wobei Franz sie Maroni nennt. Urs hingegen denkt bei "Kamin" an einen Schornstein (oder Rauchfang, wie Franz sagen würde) und grilliert seine Marroni lieber im Cheminée. Marroni sind dann auch der Hauptbestandteil von Urs' Lieblingsdessert: Vermicelles mit Vanilleglace und Schlagrahm. Das kann Heiko nur teilweise nachvollziehen: Süßes Kastanienpüree in Würmchenform ist nicht so sein Ding, aber Vanilleeis mit Schlagsahne liebt er einfach über alles. Franz geht es ähnlich, dabei kann es gar nicht genug Schlagobers sein.
Fazit
Die wichtigste Erkenntnis für Sabine: Obwohl wir uns in allen drei Ländern in der gleichen Lebenswelt der Adaptiv-Pragmatischen bewegen, lässt sich die Botschaft im DACH-Raum nicht über einen Kamm scheren. Die Kunst besteht darin, sprachliche Gemeinsamkeiten gezielt zu nutzen und durch länderspezifische Mutationen abzurunden. Damit Ihre Kampagne kein Tschüss, Baba oder Adieu erfährt.